Der Niedergang des Meteors
Angespannt und nervös erwartete die Welt den mit 300 Km/sec bedrohlich herannahenden Weltraumbrocken. Nach dem geglückten Schulterschluss der Nationen gegen die aufkommende Katastrophe rückte der Zeitpunkt der geplanten Zertrümmerung des Kometen näher und näher und damit auch die Raketenstarts für den Transport der Laserbombenbestandteile, die ferngelenkt in gebührendem Erd-Abstand zusammengebaut werden mussten. Die Fertigung dieser Teile war gleichzeitig in Hamburg, Toulouse, Madrid, Schanghai und Moskau erfolgt. Die Koordination hatte gut funktioniert.
Die Fachkräfte der beteiligten Nationen stimmen sich zur vollfunktionstüchtigen Herrichtung der Abschussrampen minutengenau ab.
Die Einrichtung eines weltweiten Beobachtungsgürtels war sehr aufwändig. Sie bestand aus fast 1000 Stationen, die, rund um den Globus verteilt, miteinander vernetzt wurden. Damit konnte für mindestens zwei Tage im Voraus bestimmt werden, wo die zertrümmerten Bestandteile des Meteors auf die Erde niedergingen.
Schließlich war der Tag X da, der Tag des großen Spektakels der Meteor-Zerstörung. Die ganze Welt schaute zu, wie sich die Raumfähre mit ihrer geballten Explosionskraft dem gefährlichen Kometen näherte und in einem plötzlichen Blitz Wirkung zeigte. Allenthalben herrschte aber große Verwunderung darüber, dass kurz nach dem ersten Blitz eine zweite Explosion am Himmel sichtbar wurde.
War zusätzlich eine Bombe gezündet worden? Nach und nach wurde kolportiert, dass entgegen allen bisherigen Bekundungen die Amerikaner im Alleingang eine eigene Bombe entwickelt und auf eine ferne Flugbahn lanciert hatten. Die große Frage war: Hatte die zweite Explosion zur Zerstörung des Kometen beigetragen oder hatte sie möglicherweise die Laserkanone der eurasischen Allianz gestört, geschwächt oder gar zerstört. Hatte sie überhaupt Kurs auf den Kometen gehabt?
Klar war: Der Komet war offensichtlich so oder so erfolgreich in Stücke gesprengt worden. Ob damit das Unheil von der Menschheit abgewandt war, musste sich erst noch zeigen. In den ersten Tagen nach der Zerstörung des Asteroiden konnte das weitere Verhalten der Trümmerstücke kaum eingeschätzt werden, weil die zersprengten Objekte zu klein und zu weit entfernt waren, um noch auf den Bildschirmen der Kontrollstationen verfolgt zu werden.
Alles konzentrierte sich auf das globale Beobachtungssystem. Es sah danach aus, dass die Erde von einem Gesteins-Regen getroffen würde, der von dem Teil der Kometen-Materie herrührte, der durch die Explosionen in Richtung Erde beschleunigt worden war. Das zumindest ergaben die ständig erneuerten Vorausberechnungen.
Die Fachleute versuchten möglichst schnell zu ermitteln, in welchem Umfang und vor allem wo die Erde vom Rest des Kometen getroffen werden konnte.
Um die Doppelexplosion zu erklären, kamen Verschwörungstheorien auf. Danach hatten die Amerikaner absichtlich durch eine zweite Fusionsbombe den Gesteinsregen auf das Territorium der eurasischen Allianz zu lenken versucht. Mit derartigen Vermutungen und gewagten Interpretationen des Geschehens betrieben die Medien ein gefährliches Spiel. Denn die Öffentlichkeit war bei drohendem und erlittenem Schaden dafür allzu empfänglich, vorschnell auf einen Schuldigen zu zeigen.
Nach ein paar Tagen war es so weit: ein Meteorregen ging auf den Atlantik, Nordafrika und vereinzelt auf Europa nieder. Der amerikanische Kontinent blieb gänzlich verschont. Aber auch China und Russland wurden nicht getroffen, was die Verschwörungstheoretiker Lügen strafte. Nur die Hartnäckigen unter ihnen behaupteten, den Amerikanern sei es eben nicht oder nur teilweise gelungen, ihre bösen Absichten umzusetzen.
Die Chinesen hatten ein Arsenal von konventionellen Raketen bereitgehalten, um durch Beschuss große Bruchstücke des Meteors vor dem Eintritt in die Atmosphäre am Aufschlagen in ihrem Territorium zu hindern.
Derartige Maßnahmen waren unter den Wissenschaftlern umstritten. Der Niedergang des Meteors in einem Hagel von Feuerbällen konnte in Form eines Flächenbrandes größeren Schaden anrichten als der Einschlag von wenigen mittelgroßen Brocken, die voraussichtlich nur vereinzelt tiefe Krater schlugen, aber den Schaden auf einen kleineren geographischen Raum begrenzten. Zuguterletzt waren derartige Raketen nicht zum Einsatz gekommen.
Die Mess- und Beobachtungssysteme hatten gute Arbeit geleistet. Sie bestimmten die Einschlagsgebiete zwei bis drei Tage vor dem Eintritt der Bruchsteine in die Erdatmosphäre ziemlich genau.
Dadurch konnten kleinere, dichter besiedelte Regionen in Marokko, Spanien und in Mitteleuropa eineinhalb Tage vor dem Aufschlag gewarnt und gerade noch früh genug evakuiert werden. Alptraumartig erlebten die Betroffenen die Gewissheit, wie bei einem bevorstehenden Vulkanausbruch tödlichen Regen aus Feuerbällen vom Himmel erwarten zu müssen, ohne die herannahende Bedrohung auch nur im Geringsten wahrnehmen zu können.
Als es dann geschah, war alles in allem der Schaden dank der Vorsichtsmaßnahmen nicht größer geworden als bei einem Hurrikan der gefährlichsten Stufe. Und zum Glück war letztendlich keiner durch den Meteor umgekommen, wenn man von den tödlichen Herzinfarkten absah, die manche Menschen durch Schock oder durch übergroße Anstrengungen im Zusammenhang der Evakuierungen erlitten. Jedenfalls hatte sich die weltweite Aufregung wegen des Kometenniedergangs bald wieder gelegt und geriet so schnell in Vergessenheit, wie seiner Zeit die Datumsumstellung aller Computer weltweit zum Jahr 2000. So wie damals blieb nur ein unangemessener weltweiter Hype in Erinnerung, der zu gigantischen Investitionen und zum wirtschaftlichen Erblühen einer ganzen Branche geführt hatte. So war es auch diesmal. Inos Geschäftsbereich Energiegewinnung bekam wegen der erfolgreichen vom Fusionsreaktor gespeisten Laserkanone so beachtlichen Auftrieb, dass er unbesehen in ein eigenständiges Unternehmen ausgegliedert wurde. Das geschah hinter Inos Rücken. Andere zogen Vorteil aus seinem Erfolg. Die Konzernspitze hatte Ino einfach vor vollendete Tatsachen gestellt. Mit dem Rest seines Geschäftsbereichs, hieß es, hatte er immer noch genug zu tun.
Das Image der amerikanischen Administration hatte weltweit bei den Meinungsbildnern stark gelitten. Die Öffentlichkeit in den eurasischen Ländern kam zu der Auffassung, dass die Amerikaner das Unheil auf andere Erdteile abzudrängen versucht hatten. Die undankbare Beurteilung ihres Eingriffs in das Meteor-Geschehen hatte die alte Supermacht sich zum Teil selbst zuzuschreiben. Sie hatte es versäumt, klare Auskünfte über die zweite Explosion zu geben.
Wesentlich trug zur Irreführung der Weltöffentlichkeit ein Mitglied vom Kometenvernichtungsausschusses des US-Senats bei, der Melvin Gorson hieß. Er hatte in einer allgemein als arrogant empfundenen Erklärung zum Alleingang der Großmacht gesagt: Die USA hätten sich in der Pflicht gesehen, in dieser Katastrophenzeit die Welt vor Führungslosigkeit zu bewahren.
Soviel war klar: Entgegen ihrer eigenen Beteuerung hatten die Amerikaner zur Vernichtung des Meteors ein eigenes Zerstörungssystems entwickelt, aber die Welt darüber im Unklaren gelassen, wie es mit der eurasischen Laserkanone zusammenwirken sollte. Mit der Durchsetzung ihres Vorgehens riskierten sie bewusst, die offizielle Mission der Eurasier zu gefährden. Das brachte sie in Argumentationsnot. Doch wer wollte sich außer ein paar engagierter investigativer Journalisten darüber noch aufregen?
Nur einige Wissenschaftler waren mit der außerirdischen Begegnung noch nicht fertig. Der größte Teil der tausendfach in die Atmosphäre eingedrungenen Meteorteile war verglüht, beziehungsweise verdampft. Denn die von weit her aus dem Kuippergürtel stammende Materie bestand zum großen Teil aus Wasser-Eis.
Die Einschlagstellen auf der Erde wurden genauestens untersucht. Man fürchtete vor allem, dass die lavaartige Restsubstanz durch die Fusionsbombe verstrahlt worden war und auf der Erde Schäden verursachte. Das traf auch tatsächlich zu. Man hatte die Aufschlagsgebiete untersucht und die Erdschicht der unmittelbar betroffenen Regionen abtragen müssen, um sie wie radioaktiven Abfall zu entsorgen. Selbstverständlich wurde keine Methode ausgelassen, die Meteor-Materie zu analysieren. Proben wurden unter anderem in Hamburg und in Wien untersucht. Bezeichnend war, dass sich die Amerikaner in diese Untersuchungen plötzlich einzumischen versuchten. Offenbar befürchteten sie, dass die gefundenen Reste Aufschlüsse über ihre Bombe geben könnten. Das fanden die hiesigen Wissenschaftler sehr dreist und machten Front gegen die US-Ansprüche, an den europäischen Untersuchungen beteiligt zu werden.
Die Analysen der Meteorreste führten bis auf die subatomare Detailebene, das heißt, man untersuchte sogar Elektronen beziehungsweise aus Atomkernen auch Neutronen und Protonen der außerirdischen Materie.
Fast wie durch Zufall machten die Forscherteams dabei eine bemerkenswerte Entdeckung. Sie stellten fest, dass das Verhalten von einigen Partikeln, die sie in Hamburg und in Wien in der Bearbeitung hatten, miteinander gekoppelt war. Wenn die Teilchen in Wien bei einer bestimmten Versuchsanordnung eine besondere Reaktion aus mehreren möglichen zeigten, verhielten sich in dem Ereignismoment Partikel der Meteormaterie, die über tausend Kilometer entfernt in Hamburg untersucht wurden, plötzlich in genau der gleichen Weise. Dafür bestand gar kein physikalisch erklärbarer Grund und Zusammenhang. Und das, obwohl die untersuchten Proben von ganz verschiedenen Aufschlagstellen stammten. Diesen Verschränkungseffekt, wie er offiziell genannt wurde, wiesen die Physiker eindeutig bei Atomkernen von Sauerstoff und Stickstoffatomen aus den Proben nach.
Die Wiener Wissenschaftler waren wie von der Tarantel gestochen. Denn das war seit Jahren ihr Forschungsthema und sie vermuteten, dass nicht nur subatomare Partikel, sondern ganze Wassermoleküle des Meteors das quantenphysikalische Phänomen der Verschränkung aufwiesen, jene geheimnisvolle Gleichschaltung des Verhaltens gleicher voneinander über unbegrenzte Entfernungen hinweg getrennter Materieteilchen. Doch ihre Vermutung konnten sie nicht an H²O-Molekülen beweisen, weil das Meteoreis beim Eintritt in die Erdatmosphäre verdampft war und somit keins der Wassermoleküle die Reise auf die Erde überlebt hatte. Die radioaktive Strahlung aus der Bombenexplosion hatte noch das ihre zur Zerstörung der Molekularstrukturen beigetragen.